Interview mit Punks Against Antisemitism

Aus: Kaput Mag
Kaput Magazin (online)

Das Gespräch

“Als ob es ‘extrem’ wäre, gegen Antisemitismus zu sein” – Interview mit Punks Against Antisemitism

Vgl.: https://kaput-mag.com/stories-de/als-ob-es-extrem-waere/

Vom: “31. Mai 2024, Pascal Pascal Punks against Antisemitism

Die in Berlin gegründete Gruppe Punks Against Antisemitism organisiert unter anderem Info- und Gesprächsveranstaltungen.
Die Notwendigkeit erwächst für sie daraus, dass sich auch in der Punkszene mit Solidarität mit jüd:ischen Menschen mitunter schwer getan wird.
Auf den Nahost-Konflikt gibt es viele Blickwinkel – aber der aktuell grassierende Hass auf Jüd:innen weltweit ist keine Antwort darauf.

PAA will sich und anderen aus der Ohnmacht heraushelfen.

Das Interview führte Pascal.

Am 7. Oktober 2023 verübte die Terrororganisation Hamas, mit Unterstützung der terroristischen Organisation Islamischer Dschihad, Qassam Brigaden, PFLP und DFLP ein genozidales Massaker an der israelischen Zivilbevölkerung. Noch am gleichen Tag verteilte die Gruppe “Samidoun” Süßigkeiten auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln und zahlreiche linke Gruppen und Organisationen weltweit feierten das Massaker als Akt des “Widerstands und der Befreiung” der palästinensischen Bevölkerung.

Jetzt, etwa 6 Monate später, sind immer noch Geiseln in der Gewalt der Hamas, ein Ende des Krieges ist unabsehbar und eine (friedliche) Perspektive für die Region erscheint utopischer denn je. Weltweit sind antisemitische Übergriffe explodiert und einen Diskurs über das Thema zu führen, wird immer schwieriger, es sei denn, die Gesprächspartner sind sich sowieso von vorneherein in Allem einig.

Also stellt euch doch gerne erst einmal vor: Wer seid ihr und was macht ihr? Habt ihr euch nach dem 7. Oktober zusammengefunden oder schon davor?

Adi: Wir haben uns als Gruppe nach dem 7. Oktober zusammengefunden – die meisten von uns sind als Veranstalter:innen, Musiker:innen, DJs oder Musikliebhaber:innen in der DIY-Szene in Berlin aktiv. So kannten sich einige besser, andere jedoch nur vom Sehen – und über die Gruppe lernen wir uns natürlich auch neu kennen.

Bela: Zusammengefunden haben wir uns, weil erste Bands im Oktober in Berlin begannen, Soli-Shows für Nakba75* zu machen, Pali-Fahnen auf Flyern abzubilden, Hamas Propaganda von Aljazeera und ähnliches über Social Media zu teilen und auch auf ihren Konzerten so zu agieren beziehungsweise zu agitieren.

[*Die Gruppe ‘Nakba75’ arbeitet zum Beispiel eng mit der Gruppe “Palästina Spricht” zusammen, die schon am nächsten Tag von der Hamas und ihren Partnern verübte Massaker auf Instagram als ‘”Ausbruch aus dem Gefängnis” und “berechtigten Widerstand gegen die Besetzung” bezeichnet haben. Dazu posteten sie Bilder von den bewaffneten Kitefliegern auf das Nova-Festival, bei dem 360 Menschen ermordet wurden.]

Roro: Wir sind uns einig, dass wir dagegen antreten müssen beziehungsweise haben uns aus dem Bedürfnis heraus, uns dagegen auszusprechen, zusammengefunden….

Cleo: Genau, das hat uns motiviert, quasi “Gegendiskurse” in der Stadt zu etablieren. Wir wollen informieren und aufklären, warum bestimmte Narrative problematisch sind. Bisher haben drei Lesungen und Konzerte stattgefunden, unter anderem die Vorstellung des Punk Fanzines Ostsaarzorn zu “Punk und Jewishness”, die sehr erfolgreich verlaufen sind. Am 04.06. ist unsere nächste Veranstaltung mit Tania Martini und Ulrich Gutmair zum Sammelband “Nach dem 7.Oktober – Essays über das genoziadale Massaker und seine Folgen” (Edition Tiamat).

Diana: Es gibt ja Personen, auch in unserer Gruppe, die von Antisemitismus akut betroffen sind und die sich an vielen Orten nicht mehr wohlfühlen – wir wollen, dass bei Veranstaltungen von uns ganz klar ist, dass wir da solidarisch sind.

Faye: Leute, mit denen ich gegen Rassismus, Sexismus und Verdrängung auf die Straße gegangen bin, haben zu dem Thema geschwiegen oder relativiert und tun es bis heute. Die Gruppe tat mir gut, um raus aus der Ohnmacht und rein in die Aktivität zu kommen. Gemeinsam zu überlegen, wie wir damit umgehen können und Ideen zu entwickeln, wir wir in den Austausch kommen und informieren können.

Gin: Die Schwerpunkte sind dabei bei den einzelnen Leuten unterschiedlich gelagert. Für mich ist die Gruppe auch deshalb attraktiv gewesen, weil sie mit einem Gesprächsangebot an alle diejenigen angetreten ist, die diskursiv noch irgendwie offen und erreichbar sind. Es geht darum, Gespräche zu öffnen, statt zu schließen. Sich auseinanderzusetzen, statt sich selbst zu vergewissern. Richtige Fragen zu stellen, statt einseitig aufzulösen. Das ist auch immer ein Kampf gegen sich selbst: Sich nicht in die eigene “Blase” zurückzuziehen, sich gegenseitig auf die Schulter zu klopfen und in der eigenen Meinung zu bestätigen. Wir versuchen, offen und selbstkritisch zu bleiben.

Bela: Sehr schnell wurden wir als Zionist:innen, Antideutsche und Ratten (für antisemitismuskritische Personen im Übrigen eine interessante Analogie) auf Flyern besagter Bands im Vorhinein ausgeladen. Es kursieren europaweit rote Listen mit Läden, Kulturorten und Bands, die als Zionist:innen “getagged” werden. BDS agiert auf jeden Fall auch in Berlin und schafft es, Läden, Bands und DJs unter Druck zu setzen.

Punks Against Antisemitism: Pascal, danke, dass du dieses Interview mit uns machst – wir freuen uns natürlich sehr! Vielleicht kannst du für die Leser:innen auch mal kurz ein paar Worte zu deiner Motivation sagen?

Pascal: In den ersten Tagen und Wochen nach dem 7.Oktober 2023 habe ich mich recht alleine gefühlt. Irgendwie war da der Gedanke da, dass das doch alles nicht wahr sein kann, dass neue Gruppen genauso woe alte Allianzen plötzlich so abdrehen. Ich habe für mich festgestellt, dass die subkulturell geprägten Szenen ziemlich leise waren. Egal ob Punk oder Techno, viele haben ihre meist große Klappe nach dem Massaker nicht aufbekommen und beziehen bis heute keine Stellung. Eher im Gegenteil. Von der Hamas geprägte Narrative werden in die Sozialen Medien und auf die Straße getragen. Kommunistische Gruppen sind dabei, wenn antisemitische Parolen gerufen werden, und Künstler:innen teilen in ihrer Blase ohne weiteren Kontext “From the River to the Sea….”.

An den Universitäten nimmt BDS durch Besetzungen Fahrt auf und die Unsicherheit und die Angst bei jüdischen Studierenden nimmt zu. Allgemein ist die Stimmung enorm aufgeheizt. Eine vernünftige Auseinandersetzung ist mit vielen Teilen der linken Bewegung nicht mehr möglich. Zu starr ist der ideologische Unterbau und bei manchen wird eben deutlich, wie tief der Antisemitismus in der Gesellschaft – immer noch – verankert ist. Auch bei sich so oft als progressiv gebenden linken subkulturellen Szenen.
Wie sich die Situation in der Region entwickelt, kann niemand vorhersagen und da haben wir hier in Deutschland sowieso keinen Einfluss darauf. Worauf wir aber einen Einfluss haben, ist die Entwicklung bei uns vor Ort. Wie froh und erleichtert war ich also, als ich die ersten Veranstaltungen der Gruppe “Punks against Antisemitism” besucht habe! Denn offensichtlich ging es nicht nur mir so. Es war Redebedarf vorhanden. Bei vielen. Sehr vielen.
Die Resonanz der Veranstaltungen hier in Berlin ist sehr gut.
Um diesem Gefühl, dass man doch nicht alleine ist mit seinen Gedanken, gerecht zu werden, möchte ich dieses Interview mit Teilen von euch führen.

Pascal: Als „Punks Against Antisemitism” verortet ihr euch bewusst in einem subkulturellen Raum. Wie nötig ist es eurer Meinung und eurer Erfahrung nach genau in diesen Raum rein zu gehen mit dem Thema? Hat die linke Subkultur derzeit überhaupt eine Antwort auf Antisemitismus?

Adi: Ich denke, wichtig ist, das Thema überall dort anzugehen, wo man sich bewegt oder verortet, das ist für mich auch das Naheliegendste: man hat Chancen, etwas zu bewirken und auch eine Motivation. Dazu kommt aber auch, dass das Thema Antisemitismus gerade in subkulturellen Zusammenhängen oft behandelt wird, als wäre es nicht vorhanden. In der viel zu langen Liste von “-ismen”, die dankbarerweise mittlerweile immer wieder aktiv thematisiert werden, taucht Antisemitismus selten auf, aber eben nicht, weil er nicht vorhanden ist, sondern weil er einfach ausgeblendet wird. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig und komplex: einer wäre z.B., dass eine Subkultur, die sich wohl vage als “links” versteht, Antisemitismus “automatisch” als Problem “von rechts” auffasst – was sich spätestens seit dem 7.10. als Fehlannahme offensichtlich gemacht haben dürfte.

Bela: Es wäre schön, wenn die Antwort linker Subkulturen auf Antisemitismus ein klares “Nein zu Antisemitismus – wir zeigen harte Kante” wäre, wie das ja selbstverständlich bei Nazis zumindest an der Oberfläche stattfindet – stattdessen ist das Gegenteil der Fall. Es wird Antisemitismus geleugnet oder als “Kritik an Israel” oder “Antizionismus” verortet – und dadurch oft verharmlost und relativiert. Ich denke, es ist im Moment vor allem angebracht, die richtigen Fragen zu stellen, nämlich: Wieso passiert diese klare Abgrenzung von antisemitischen Äußerungen oder Taten nicht? Wieso gab es gerade aus der linken Subkultur nach dem 7.10. keinen Aufschrei und Solidaritätsbekundungen mit den Opfern und Entführten?

Cleo: Meiner Wahrnehmung nach ist Antisemitismus für viele einfach nicht greifbar und schwer zu verstehen – und das liegt sicher auch an der mangelnden Beschäftigung mit dem Thema. Von Antisemitismus Betroffene, also insbesondere Jüd:innen, werden oft als “weiß” imaginiert und damit als mächtig wahrgenommen, gegenüber der vom “Westen” und von Israel unterdrückten Minderheit der Palästinenser:innen. Dies ist jedoch schon allein historisch falsch. Die Opfer des 7. Oktober waren nicht allesamt Jüd:innen, geschweige denn “weiß”. Ich könnte noch ins Detail gehen, befürchte aber, das sprengt hier den Rahmen…

Diana: Außerdem denken viele Punks in Berlin – denn gerade hier ist die Szene ja sehr heterogen und international – dass alle deutschen Linken auf Grund der historischen Verantwortung der “Post-Shoa”-Gesellschaft “automatisch” oder “reflexhaft” gegen Palästinenser:innen agitieren würden -beziehungsweise aus rassistischer Motivation generell gegen alle als nicht “weiß” gelesenen Personen. Es wird von deutschem “Schuldkult” geredet, auch auf Punk-Konzerten. Das kannte ich in dieser Vehemenz bislang nur von Rechten und Nazis – Schlussstrichdebatte – und das ist für viele Betroffene auf den hiesigen Konzerten kaum zu ertragen…

Roro: Genau, oder es wird so getan, als würde es reichen, den Holocaust schlimm zu finden, um dann automatisch “nicht antisemitisch” zu sein. Ich denke, Antisemitismus, der sich “gegen Israel” richtet, wird schöngeredet und will eben nicht als solcher verstanden werden…

Gin: Ich halte es für naheliegend, da aktiv zu werden, wo ich mich auskenne. Und das ist nun mal unter anderem in der Subkultur “Punk”. Im Grunde sind Punks in Sachen Antisemitismus einfach nur genau so scheiße wie der Rest der Gesellschaft. Oder spezifischer antisemitisch, so wie diese Künstler:innen, die jetzt mal meinen, sich politisch äußern zu müssen. Da geht viel durch den Bauch und eine Menge schief. Und natürlich gibt es ja auch in unserer Szene die Antisemit:innen, die das aus Obsession und Leidenschaft sind.

​Pascal: Könnt ihr Unterschiede zwischen subkulturellen Szenen beim Thema Antisemitismus feststellen? Irgendwie verorten sich ja so ziemlich alle Szenen als vage links, aber es klafft in vielen Bereichen ja auch deutlich auseinander?

Adi: Um diese Frage beantworten zu können, ist es vielleicht notwendig, sich die Bewegungsgeschichte der deutschen Linken anzuschauen, wobei es wichtig ist, sich auch gerade in Bezug auf Antisemitismus die Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland zu vergegenwärtigen. Seit Mitte der 90er Jahre, ausgelöst durch den Zusammenfall des “Ostblocks”, in Deutschland spezifisch ausgelöst durch den Mauerfall 1989 und die deutsche Wiedervereinigung, gab es immer stärker werdende Differenzen in der radikalen Linken: diejenigen, für die die Auseinandersetzung mit der Shoa im Bezug auf linke Politik nochmal verschärft ein wichtiges Thema wurde und diejenigen, die sich weiterhin eher “traditionell antiimperialistisch” verortet haben – das ist jetzt sehr verkürzt zusammengefasst. Und solche Diskurse sind zum Beispiel über autonome Jugendzentren natürlich auch in die Subkulturen reingetragen worden, auch wenn Punk ja ursprünglich vielleicht eher unpolitisch war… oder besser gesagt, andere Ausdrucksformen gesucht hat, in Abgrenzung oder sogar als Abgrenzung zu klassischer Politik. Ab Mitte der 90er wurde dankbarerweise die Auseinandersetzung mit dem Postkolonialismus über Theoriebildung hauptsächlich aus den USA auch in Deutschland ein Fokus – leider ist es damals nicht gelungen, Widersprüche auszuhalten und solidarisch miteinander in verschiedenen Kämpfen zu bleiben – sondern an Stellen wurde nach einfachen Lösungen und Antworten gesucht und politisch danach gehandelt, ich würde das jetzt mal als “unterkomplex” bezeichnen. Meiner Meinung nach gibt es weder “das Richtige” noch “die Antwort” – sondern nur eine komplexe Welt und komplexe Herausforderungen.

Bela: Die Frage ist ja auch erstmal: Wer sind alle Szenen? Im linken Deutschrap gibt es Bands, die sich sofort positionierten und auch Songs zum Thema veröffentlicht haben, wie zum Beispiel die Antilopen Gang, auch Zugezogen Maskulin. Das ist total super, dass Bands ihre Reichweite nutzen und sich damit ja nicht nur Freund:innen machen.

Cleo: Es ist ja bereits länger zu beobachten, dass sich viele Punk und Crust Bands, auch aus der Hardcore Szene zum Beispiel aus UK, Irland, Spanien, Skandinavien, aber auch im weiteren europäischen Umland, mit BDS solidarisieren und dahingehend Ansagen machen und Texte schreiben. Sehr populäre Bands noch aus den 90ern in dem Feld, die viele garantiert auch geprägt haben, sind Propagandhi oder Anti Flag. Oder The Restarts die zum Beispiel einen Netanyahu/Hitler-Vergleich gebracht haben. Oder nimm The Movement, die sogar Anti-Impfungs-Thematiken und Schwurbler-Narrative wie das von einer “new world order” aufmachten.

Roro: Bikini Kill, Rage Against The Machine, La Femme, Thurston Moore… Die Liste ist leider sehr lang.

Bela: Das sind jetzt alles sehr bekannte Namen und auch nicht unbedingt DiY…

Adi: Aber wir möchten hier ganz bewusst keine Namen nennen zum Beispiel aus Berlin. Wer möchte kann bei Bandcamp ja einfach mal nach dem Schlagwort “Soli-Sampler für Gaza/Palästina” stöbern…

Cleo: Generell erfahren diese antisemitischen/antiisraelischen Narrative außerhalb Deutschlands in der Punk-Szene und der Linken generell nochmal größeren Rückhalt….

Diana: BDS ist ja fast eine Mode im Moment…

Roro: Wenn man sich die Masse an Pali-Tüchern anguckt, das ist fast wieder wie in den 80ern …

[Siehe “Coole Kids tragen kein Palituch” von 2010: https://naturfreundejugend-berlin.de/blog/coole-kids-tragen-kein-pali-tuch]

Bela: Letztlich ist es nicht okay, wenn Bands auf der Bühne stehen und Slogans wie “From the River to the Sea” brüllen, die zum Inhalt haben, Israel – als einzigen jüdischen Staat weltweit – von der Landkarte zu tilgen – und Dutzende, teils hunderte Leute stehen davor und bejubeln das! Oder unter Bannern spielen, auf denen “ethnostates commit genocide” steht.

Cleo: Unserer Meinung nach sollte doch ein Minimalkonsens sein, die Massaker der Hamas vom 7.Oktober zu verurteilen, über alles weitere kann man reden!

Adi: Ja, leider wird halt wenig geredet… oder diskutiert. Es kommt superschnell zu Vorwürfen wie Faschismus, Genozid, Apartheid und Rassismus. Immer wieder kommt nur: “Entweder du bist für oder du bist gegen Genozid.”

Faye: Es ist gar nicht mehr möglich, diese Begriffe auch nur anzuschauen oder in Frage zu stellen, oder auf ihre Funktion im Diskurs zu untersuchen.

Gin: Aber zurück zur Frage: In anderen Szenen kennen wir uns nicht so gut aus… ZSK zum Beispiel haben es auch hingekriegt, sich fix und eindeutig zu positionieren, sogar obwohl sie öfter mit einer “antizionistischen” Band aus Israel auf Tour waren. Und Nick Cave hat sich in dem Kontext gegen BDS positioniert. Es gibt übrigens so eine Instagramseite “zionistsinmusic”, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, “Zionist:innen” in der Musikindustrie zu diffamieren – das ist eine gute Recherchequelle für solidarische Musiker:innen …

Pascal: Am 7.Oktober wurde ja auch gezielt ein Rave überfallen. Wie verhielt sich im Nachhinein die Elektro- und Technoszene dazu, die sich gern als “unity” beschreibt und begreift und ein solidarisches Miteinander für sich in Anspruch nimmt?

Bela: Wir sind ja eher in der “analogen” Musikwelt unterwegs, wobei einige von uns auch in oben angesprochenen Zusammenhängen aktiv sind. Dass gerade die elektronische Szene wahnsinnig laut geschwiegen hat beziehungsweise Teile der Szene ungebrochen oder gar noch vehementer als vor dem 7.10. BDS unterstützen – wie “DJs for Palestine” etwa – tat und tut sehr weh. Das gilt auch natürlich auch für diejenigen feministischen und queeren Zusammenhänge, die sich explizit mit israelischen Frauen ent-solidarisieren.

Pascal: Während Corona fragte ich mich schon, was mit einem Großteil der Leute da draußen vor sich geht. Diverse, sich als links verortende Menschen und Gruppen waren dabei, die sich an den Märschen gegen die “Corona-Diktatur” beteiligten. Der Krieg in der Ukraine hat dafür gesorgt, dass ich mich mit einem Teil dieses politischen Spektrums nicht mehr verbunden fühle. Russische Narrative verbreiten, Schulterschluss mit offenen rechten Gruppen und der sich manifestierende Realitätsverlust, haben dazu geführt, dass ich bestimmte Gruppen und Personen auch in Zukunft meiden werde/muss. Und jetzt kam zusätzlich noch die Eskalation im Nahen Osten dazu, die wiederum ein extremer Katalysator für die Spaltung dieser Bewegung gesorgt hat. Habt ihr damit gerechnet, dass das in dieser Schnelligkeit passiert und wie haben euch diese, ich sage mal Krisen dazu, persönlich aber auch politisch getroffen?

Adi: Ich persönlich muss sagen, dass ich die Vehemenz, mit der große Teile der Linken sich offensichtlich nur zu einer Seite empathisch verhalten können, unterschätzt habe. Ich war schockiert, dass es einfach nur dieses Schweigen gab, nach dem 7.10. Irgendwie dachte ich, dass auch Leute, die vielleicht politisch eher so anti-imp-mäßig drauf sind, sowas sagen würden wie “okay, also das Massaker am 7.10. haben wir nun doch nicht gewollt…”. Sogar Teile der RAF haben das auf ihre verfehlte “Politik” ja schließlich hinbekommen… In dieser Form aber, nämlich dass ein geradezu wahnhafter “Pali-Support” quasi unmittelbar durch die Decke ging, damit hatte ich nicht gerechnet. Und ja, das hat persönlich weh getan – es gibt Menschen, zu denen ich den Kontakt abbrechen musste.

Bela: Also die Spaltung, gerade was Nahost angeht, gab es ja auch schon vorher, insbesondere auch historistisch in der deutschen Linken, wenn man sich diverse RAF-Generationen anschaut, die sich von der PLFP ausbilden lassen haben etc… die Linke ist in Deutschland antisemitisch geprägt, dahingehend gab es ja seit den 1990ern die antideutsche Gegenbewegung dazu.

Cleo: Und antisemitische Verschwörungserzählungen und die dazugehörigen Schwurbler:innen hatten auch bereits schon “vor Corona” Konjunktur, schaut man sich Xavier Naidoo mit seinen „Adrenochrom” Videos an – QAnon als Ritualmordlegende 2.0 -, der sich bereits bei den Montagsmahnwachen 2014 radikalisiert hat. Bestimmt kennen einige in der Punk-Community auch den ehemaligen veganen Koch Attila Hildmann, der außer seiner Rotwein-Tofu Bolognese vor allem durch sexistische Mackerscheiße von sich reden machte – und am Ende einen Telegram-Kanal mit teils 100.000 Followern betrieben und darauf antisemitische Verschwörungsmythen wie QAnon verbreitet hat.

Diana: Die Terrorverherrlichung, die in Berlin sichtbar war und ist, hat mich sehr getroffen, aber wenn ich ehrlich bin, nicht wirklich überrascht. “Palästina spricht” und “Samidoun” haben die letzten Jahre schon den 1. Mai organisiert, der Rest läuft dem “From the River to the Sea”- Block fröhlich bis unkritisch hinterher. Es gab mit dem Jugendwiderstand, BDS Berlin und F.O.R. Palestine auch 2016 schon Leute, die in ihrem Hass kaum zu bremsen waren. Aber dass so viele Leute, die nicht zu diesen knallharten Kreisen gehören, so schnell bei antisemitischer Agitation gelandet sind und die Verbrechen der Hamas am 7. Oktober in Frage stellen oder gar leugnen, auch innerhalb der Punk-Szenen, lässt mich dann schon etwas verstört zurück. Ich glaube, die Zeiten von “Lass uns über was anderes sprechen, ich will mich nicht streiten”, sind vorbei.

Gin: In weiten Teilen schließe ich mich den Anderen an: Bin geschockt, aber eigentlich war das erwartbar. Tatsächlich gibt es auch bei einigen traditionslinken pali-solidarischen Leuten Stimmen, die das verurteilen und vom Ausmaß des Massakers entsetzt sind. Problematisch ist aber, dass das nicht sehr laut passiert. Laut sind die, die unverbesserlich und sehr polterig ihren polarisierenden Mist verbreiten.

Pascal: Wie ist die Resonanz auf eure Veranstaltungen bisher? Gibt euch das Mut mit Blick auf die Zukunft oder seid ihr eher enttäuscht?

Adi: Wir sind natürlich super motiviert und wir freuen uns wahnsinnig, dass unsere Veranstaltungen bislang auf so große positive Resonanz gestoßen sind!

Bela: Bisher fand ich den Rückhalt auch wirklich positiv. Unsere erste Veranstaltung am 29.12. war quasi doppelt ausverkauft. Auf der anderen Seite mussten wir beobachten, dass Bands in den Fokus von antisemitischen Gruppen und BDS geraten und wegen ihrer Bekenntnis gegen jeden Antisemitismus aus Läden ausgeladen werden. Das ist aber leider nicht neu und überraschend, muss aber im Auge behalten werden.

Cleo: Es gab bisher beides: Hass gegen uns aber auch viele positive Reaktionen sowie hoher Zulauf zu den Veranstaltungen. Leider bleibt es eine Herausforderung, solidarische Räume zu finden. Sich gegen Antisemitismus zu positionieren, scheint schwer zu fallen…

Faye: … dabei sehen wir aber auch, dass viele Läden aktuell verunsichert sind. Läden, die mit uns gemeinsam veranstalten, haben Befürchtungen, diffamiert oder anderen Aggressionen ausgesetzt zu werden und das von den vermeintlich eigenen Leuten. In der DIY-Szene ist Schutz an der Tür eher unüblich, bei unseren Veranstaltungen aber leider durchaus notwendig.

Gin: BDS ist ein wahnsinniges Problem – und ich persönlich möchte hier an alle Läden, Bands, DJs, Kollektive, Häuser, Zentren appellieren: lasst euch nicht unter Druck setzen – bleibt euch treu, diskutiert, haltet Streit aus, sucht Dialog, öffnet die Räume für Dialog und Diskurs! Das ist auf lange Sicht emanzipatorisch und sonst nichts!

Pascal: Die Thematik Naher Osten und insbesondere Israel und Palästina ist oft eine sehr heikle und eine nicht gerade einfache. Habt ihr Tipps, wie man sich in nicht gerade spannungsarmen Diskussionen verhalten kann?

Adi: Fragen, Fragen und Nachfragen finde ich eine gute Strategie – das kann ein gutes Mittel sein, in Gesprächen, in denen das Gegenüber vielleicht generalisierend Etwas in den Raum wirft. Durch Fragen schafft man es vielleicht, das Gegenüber zum Nachdenken oder Überdenken der eigenen Position zu bringen. Wenn man es dann auch noch hinkriegt, dieses Nachfragen erst einmal wertfrei, vielleicht sogar neugierig rüberzubringen und auch so zu meinen, zeigt man Gesprächsbereitschaft. So kann vielleicht tatsächlich ein offener Dialog entstehen, in dem man sich gegenseitig erreichen kann oder es zumindest schafft, einander überhaupt mal zuzuhören.

Bela: Falls es zu viel wird und man es gar nicht schafft, hinter die eigenen und die Vorurteile des Gegenübers und festgefahrenen Positionen zu kommen, ist es auch ok, sich rauszuziehen. Das Motto “ich rede nicht mit…” ermöglicht natürlich keine offenen Gespräche, aber ist vielleicht manchmal aus Selbstschutz nötig und unumgänglich.

Gin: Ja, es ist bitter, aber manchmal ist es dann vielleicht nötig, sich und dem Gegenüber einzugestehen, dass es unüberwindbare Differenzen gibt. Grundsätzlich, in einem ernsthaften Austausch, sollte es aber okay sein, das Gegenüber und sich selbst zu hinterfragen und sich auch einzugestehen, wenn man* auch z.B. mal nicht den Durchblick hat und nicht alles versteht. Das schafft Mut, auf beiden Seiten mit der eigenen Fehlbarkeit und Ohnmacht den Nahostkonflikt betreffend umzugehen. Für diese Leute, die sich da grad heiser schreien und die man gar nicht mehr erreichen kann, kenne ich allerdings auch kein Rezept.

Roro: Ja, es sind ja nicht alle so krass drauf. Ich hab’ auch Kontakt zu Leuten, die Narrative aus ihrer vertrauten Bubble wenig hinterfragt übernehmen. Hier macht es für mich viel Sinn, Fragen zu stellen, die vielleicht doch zum Nachdenken anregen. Und – es klingt banal, ist aber wichtig: ruhig bleiben, zuhören und sachlich argumentieren. Ich erlebe auch immer wieder, dass sich Leute in der Szene “raus halten” wollen oder “neutral” sein wollen, als ob es “extrem” wäre, gegen Antisemitismus zu sein. Da spielt gerade viel Verunsicherung und Überforderung mit rein, was ich aufgrund der Stimmung in der Szene teilweise verstehen kann. Hier informiere ich dann, um was es uns eigentlich geht. Es wird einem ab und an ja auch unterstellt, dass man die israelische Regierung gut finden würde. Ich hab den Eindruck, damit machen es sich diese Leute vielleicht auch etwas einfach, dann kann man “uns” als “scheiße” abhaken und muss sich nicht mehr mit uns auseinander setzen. Aber so einfach lasse ich die nicht raus!

Pascal: Habt ihr auch ein paar Literatur-Empfehlungen zum Thema?

Cleo: Zum Einstieg eine gute Lektüre ist der Sammelband “Judenhass Underground” (Hentrich & Hentrich). Basics zu verschiedenen Themenfeldern des Antisemitismus in Subkulturen.

Adi: “Klaviatur des Hasses” – Nomos Verlag

Gin: “Goj Normativität – warum Antisemitismus oft ein blinder Fleck bleibt” – Verbrecher Verlag

Diana: “Down the rabbit hole?” und “Israel kritisieren?” herausgegeben von der Amadeo Antonio Stiftung.

Roro: “Frenemies” auch im Verbrecher Verlag erschienen

Gin: Das Heft “Zum historischen Verhältnis der radikalen Linken zum Zionismus” von antifa désaccord und dem Bündnis gegen Antisemitismus Köln.

Faye: Das Fanzine “Ostsaarzorn” mit seiner Sonderausgabe zu “Punk und Jewishness” macht jüdische Stimmen im Punk sichtbar.

Pascal: Die letzten Worte gehören euch. Vielen Dank an dieser Stelle für eure Zeit!

PAA (im Chor): Danke an euch, Kaput-Mag, dass ihr uns eine Plattform bietet!
Wir wünschen uns, dass wir nicht alleine bleiben. Es können sich gerne in jeder Stadt Banden als “Punks Against Antisemitism” bilden!
Wir haben Bock auf ernstgemeinte kontroverse Auseinandersetzungen mit Leuten und Gruppen, die das wollen. Das kann uns alle weiter bringen.

Das Interview geführt hat Pascal. Ursprünglich aus Südbrandenburg stammend, lebt er jetzt in Berlin, ist nach eigener Aussage seit Ewigkeiten im subkulturellen Raum unterwegs und schreibt unter anderem für das Plastic Bomb Magazin.

*** https://paas.noblogs.org/
*** https://www.instagram.com/punks_against_antisemitism/

Dieses Interview sollte ursprünglich im Plastic Bomb Magazin erscheinen, fand dort allerdings dann doch keinen Abdruck. In dem Vorwort der aktuellen Ausgabe heißt es dazu von der Chefredakteurin “Ich werde den Teufel tun, mich bei diesem Thema weiter aus dem Fenster zu hängen als mit dem Interview mit Björn Peng zum Projekt ‘Artists Against Antisemitism’ im letzten Heft. Über deutschen Antisemitismus können wir gern sprechen, da gibt es meiner Ansicht keine Gegenmeinung, das steht als großes Problem für sich und muss thematisiert werden. Bei allem anderen habe ich weder Bock, mich absichtlich missverstehen zu lassen, noch auf Feinheiten pinnen zu lassen, die in einem Printheft, das nur alle 3 Monate erscheint, schon nicht mehr tagesaktuell sind, wenn die Tinte trocken ist.”

So lest ihr das Interview also beim Kaput-Mag. Unsere Überzeugung ist, dass es auch für Medien nötig ist, sich angesichts der weltweiten Bedrohungslage für jüdische Menschen aus dem Fenster zu hängen. Dieser Beitrag soll Anschlüsse ermöglichen oder auch nur einzelnen Mut machen, indem sie merken, sie sind nicht allein mit ihrem unguten Gefühl. Und wenn ihr die Dinge anders seht: Kritisiert uns und pinnt auf Feinheiten – wir haben ja eine Webseite und werden das aushalten.”

Quelle: https://kaput-mag.com/stories-de/als-ob-es-extrem-waere/