Vgl.: Jungle World vom 11.07.2024:
“Besuch bei antisemitismuskritischen Gruppen auf dem Fusion-Festival
Die Ferienintifada wurde abgewendet
Vor Beginn der Fusion haben sich einige Menschen organisiert, um auf dem Festivalgelände antisemitismuskritisch zu intervenieren. Ein Resümee
Von Kirsten Dierolf und Nikolas Lelle”
Siehe: https://jungle.world/artikel/2024/28/antisemitismus-fusion-festival-die-ferienintifada-wurde-abgewendet
“Am Ende blieb der große Knall aus. Auf dem Musikfestival Fusion überwogen vielleicht die antisemitismuskritischen Botschaften. Dennoch zeigte sich: Eine antisemitismuskritische Haltung ist nicht der kleinste gemeinsame Nenner, sondern ein Kompromiss, der hart erkämpft werden muss.
Dass die Folgen des 7. Oktober auch vor dem größten linken Festival nicht haltmachen würden, war absehbar. Und so schienen sich die Befürchtungen vieler zu bestätigen, als, noch bevor die ersten Gäste das Festivalgelände betraten, die ersten Bilder durch die sozialen Medien gingen. Große rote Dreiecke waren da etwa zu sehen, das Symbol, mit dem die Hamas ihre Feinde als Angriffsziele markiert.
Ein Transparent mit dem Motto der Überlebenden des Supernova-Festivals »We will dance again« war um »in Palestine« ergänzt und mit zwei roten Dreiecken markiert worden.
Und an einer Wand stand: »From the Müritz to the Spree, Palestine will be free«, eine abgewandelte Form der Parole »From the river to the sea«, der zufolge der jüdische Staat nicht mehr existieren soll. Vor Ort zeigte sich dann, dass auch antisemitismuskritische Banner übermalt worden waren. Ein Transparent mit dem Motto der Überlebenden des Supernova-Festivals »We will dance again« war um »in Palestine« ergänzt und mit zwei roten Dreiecken markiert worden.
Im November hatte der Verein Kulturkosmos, der das Festival organisiert, in einem Newsletter noch Bestürzung über den »barbarischen Angriff« vom 7. Oktober bekundet. Im Februar folgte ein weiterer Text, in dem immerhin noch das Existenzrecht Israels als unverhandelbar bezeichnet wurde. Es folgte ein Boykottaufruf der israelfeindlichen Gruppe »Palästina spricht« und darauf ein »Nachschlag« der Festivalbetreiber:innen Anfang Juni, mit dem man sich schließlich von einem antisemitismuskritischen Grundkonsens verabschiedete.
Das alles hatte einen Effekt. Crewmitglieder berichteten der Jungle World, sie hätten überlegt, ob sie sich in diesem Jahr überhaupt am Festival beteiligen wollten. Von einem mulmigen Gefühl erzählten die, die sich dafür entschieden.
Eine Podiumsdiskussion zum rechtsextremen Terroranschlag in Halle konnte nicht wie geplant stattfinden. Nach dem »Nachschlag« der Fusion sagten drei Überlebende des Anschlags und eine Unterstützerin ihre Teilnahme ab. Der Nachschlag sei ein »bedauerlicher Rückschritt und ein klares Zeichen dafür«, dass sich der Kulturkosmos »dem antijüdischen Druck gebeugt hat«, schrieben die Überlebenden Nathan und Naomi in einem Statement zu ihrer Absage.
Statt sich klar und unmissverständlich gegen Antisemitismus zu positionieren, haben die Verantwortlichen des Festivals Positionen und Begriffe zugelassen, die antisemitische Topoi bedienen und fördern.« Damit habe das Festival nicht nur das Vertrauen vieler verloren, sondern einen weiteren Raum geschaffen, in dem sich Jüdinnen und Juden nicht sicher fühlten.
»Fuck Antideutsche«
Rachel Spicker, die als Unterstützerin in der Soligruppe 9. Oktober organisiert ist und ebenfalls auf dem Podium hätte sprechen sollen, teilte der Jungle World mit, die Überlebenden hätten mit ihrer Absage auch verhindern wollen, dass »es zu einer Instrumentalisierung ihrer Teilnahme am Festival oder ihrer Aussagen kommt«. Die derzeitigen, teils ausschließlich polarisierenden Debatten und die zunehmende antisemitische und rassistische Gewalt würden immer wieder Räume des Austauschs und Zusammenkommens verhindern – »so auch für uns auf der Fusion«. Es spricht nicht für ein linkes Festival, dass Veranstaltungen nicht wie geplant mit Jüdinnen und Juden stattfinden können. Auch bei der Podiumsdiskussion der Gruppe »Palestinians and Jews for Peace«, die nach dem 7. Oktober gegründet wurde, fehlten am Ende Redner:innen.
Nicht besonders beliebt schienen in Lärz außerdem »die Antideutschen« zu sein. Ein Begriff, der sich als Feindbezeichnung etabliert hat und schlicht all diejenigen meint, die Antisemitismus für ein Problem halten und sich der Israelfeindschaft widersetzen. Auf einem Transparent stand »Stoppt das töten in Gaza. Eure Islamfeindlichkeit ist so verletzend ihr Anti-Deutschen«. An anderer Stelle: »Fuck Antideutsche«. Ein palästinensischer Musiker solidarisierte sich bei seinem Auftritt mit dem Boykottaufruf von »Palästina spricht« und prangerte an, dass »Antideutsche und viele andere rassistische Gruppen« auf dem Festival anwesend seien und die Strukturen mitprägen würden.
»Wir konnten die Fusion ein bisschen zurückerobern.« Jean von der Dance-Punk-Band Guts Pie Earshot
Doch es gab auch Widerspruch. Zum ersten Mal hatten sich crewübergreifend einige hundert Menschen, denen Antisemitismuskritik wichtig ist, schon vor Beginn der Fusion vernetzt. Einige sagten der Jungle World, sie wollten den Antizionisten nicht die Bühne überlassen. In Gesprächen hieß es immer wieder, man habe Präsenz zeigen wollen und zumindest die Möglichkeit im Auge gehabt, mit einer kritischen Intervention eher unpolitische Festivalbesucher:innen zu erreichen.
Das antisemitismus- und rassismuskritische »Kollektiv für Emanzipation und Solidarität« (Kes) teilte der Jungle World mit, ihnen sei es wichtig gewesen, »in der Feier- und Festivalszene ein Bewusstsein für das antisemitische und misogyne Massaker und größten tödlichen Angriff auf ein Elektrofestival überhaupt herzustellen«. Also veranstalteten sie eine Podiumsdiskussion und betreuten einen Infostand, an dem sie antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsmaterialien zur Verfügung stellten.
Auch die Artists Against Antisemitism und die Fusionistas Against Antisemitism, die sich als direkte Reaktion auf die Newsletter gegründet hatten, waren mit Ständen vor Ort. Dieser Vernetzung war es zu verdanken, dass antisemitische Graffiti oft schnell übermalt wurden. Zudem gab es weitere antisemitismuskritische Veranstaltungen und Solidaritätsaktionen – vor und auf der Bühne.
»Antisemitismus ist keine ›Israelkritik‹«
Eine besonders eindrucksvolle Solidaritätsbekundung war die für Hersh Goldberg-Polin, der vergangenes Jahr noch selbst Besucher der Fusion gewesen war und den die Hamas am 7. Oktober vom Supernova-Festival im Süden Israels in den Gaza-Streifen verschleppte. Mit Bannern, auf denen »Free Hersh«, »Solidarity with Nova Festival« oder »Killing Jews is not fighting for freedom« stand, erinnerten einige hundert Festivalbesucher:innen an den 24jährigen und die anderen Geiseln. Der Hamburger DJ Løve trat mit einem T-Shirt mit der Aufschrift »Antisemitismus ist keine ›Israelkritik‹« auf. Und auf dem ganzen Gelände waren Menschen mit T-Shirts zu sehen, auf denen sie ihre Solidarität mit den Opfern vom Supernova-Festival äußerten.
Ein solches Shirt trug auch ein Mitglied der Dance-Punk-Band Guts Pie Earshot, die auf der Fusion spielte. »Ohne Kes, ohne die Artists Against Antisemitism und ohne die Fusionistas Against Antisemitism hätten wir definitiv abgesagt«, so Jean, der Schlagzeuger der Band, zur Jungle World. Es war bereits ihr neunter Auftritt auf der Fusion, den ersten hatten sie 1999. Diesmal seien sie »mit viel Bauchschmerzen und viel Angst« dort hingefahren. Das Netzwerk, das sich vor dem Festival zusammengefunden hatte, habe sie allerdings bestärkt. Letztlich waren sie froh, nicht abgesagt zu haben. »Wir konnten die Fusion ein bisschen zurückerobern.«
»Es waren viel mehr Pali-Tücher als sonst«, berichtete Sonja der Jungle World. Seit 15 Jahren geht sie regelmäßig auf die Fusion. In diesem Jahr trat sie mit ihrer Punkband Schæden auf und hatte außerdem mit ihrer Konzertgruppe an einem Abend das Booking einer Bühne, der Räuberinnenhöhle, übernommen. Der Booker vom Schuhkarton, der Bühne, auf der Schæden spielten, habe bereits vorab eine antisemitismuskritische Stellungnahme an alle Bands geschickt und es sei klar gewesen: Wer sich antisemitisch äußert, fliegt raus. Daher habe ihre Band von einer Absage abgesehen. In den Räumen, in denen sie sich aufgehalten habe und aktiv war, habe ein entsprechender Grundkonsens geherrscht.
Vom Kulturkosmos keine Äußerung der Solidarität
Enttäuscht zeigte sie sich aber darüber, dass es vom Kulturkosmos keine Äußerung der Solidarität mit den Opfern des Supernova-Festivals gab. Nicht einmal Hersh als ehemaliger Festivalbesucher sei erwähnt worden. Auch den antisemitismuskritischen Infostand habe man selbst organisieren müssen. Insgesamt blieb es ihrem Eindruck nach beim üblichen »Schmierkrieg«, also beim Malen und Übermalen von Graffiti.
Eine Besucherin resümierte im Gespräch mit der Jungle World: »Die antisemitismuskritischen Stimmen waren auf jeden Fall lauter und präsenter.« Viele andere Gesprächspartner:innen bestätigten ihren Eindruck. Auch das Kes zeigte sich zufrieden und berichtete von »unzähligen konstruktiven Gesprächen, viel bestärkenden Rückmeldungen und keiner einzigen Störung« ihres Standes oder der Podiumsdiskussion. »Klar, das löst die Verfehlungen der Fusion dieses Jahr nicht in Luft auf, aber es macht uns hoffnungsvoll, dass wir zusammen eine solidarische Perspektive erkämpfen können.«
Der Streit um die Fusion zeigt, dass es keinen Kompromiss mit israelfeindlichen Boykotteuren geben kann. Egal, wie sehr man auf sie eingeht, es wird nie genug sein. Zudem haben die Gruppen und Einzelpersonen auf dem Festival bewiesen, dass sich antisemitismuskritisches Engagement lohnt und Vernetzung einen Effekt haben kann. Es bleibt aber der schale Beigeschmack, dass Antisemitismuskritik längst nicht mehr selbstverständlich und auch keineswegs der kleinste gemeinsame Nenner ist. Das jedoch ist keine Überraschung und hatte sich abgezeichnet.”
Quelle: https://jungle.world/artikel/2024/28/antisemitismus-fusion-festival-die-ferienintifada-wurde-abgewendet
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Siehe auch, Tagesspiegel online, vom 30.06.2024, 15:58 Uhr:
“Fusion-Festival im Schatten des Gaza-Krieges: „Stop Genocide“ wird mit „Stop Hamas“ übersprüht
Vor Festivalbeginn sorgte die Fusion wegen ihrer widersprüchlichen Position zum Nahostkonflikt für Kritik. Am Ende haben viele Mitarbeitende und Gäste ihre Antisemitismuskritik zum Ausdruck gebracht.
Von Nicholas Potter”
Vgl.: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/fusion-festival-im-schatten-des-gaza-krieges-stop-genocide-wird-mit-stop-hamas-uberspruht-11929769.html
“Samstag in Lärz: Die Sonne knallt, die Bässe wummern. Barfüßige Hippies tanzen neben sportlichen Antifa-Kids, allerlei Substanzen sind im Spiel. Für einen Moment könnte man fast vergessen, dass die Fusion wochenlang in der Kritik stand, als das linke Festival offenbar verzweifelt die „richtige“ Wortwahl suchte, um den 7. Oktober und seine Folgen zu beschreiben – und in den Augen einiger Kritiker angesichts einer antiisraelischen Boykottaktion einknickte.”
Quelle: https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/fusion-festival-im-schatten-des-gaza-krieges-stop-genocide-wird-mit-stop-hamas-uberspruht-11929769.html
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Und Kaput Magazin für Insolvenz und Pop online, vom 08.07.2024:
“Ein Erlebnisbericht
„Ich hab’ bisschen Bammel, dass wir Stress kriegen“ – Auf der Fusion 2024
8. Juli 2024, Veronika Kracher
Das Fusion-Festival im mecklenburgischen Lärz zelebriert seit 1997 eine Art links-alternatives Live-Action-Roleplay. Dieses Jahr geriet der emanzipatorische Grundkonsens allerdings ins Wanken. Grund war der Überfall der Hamas vom 7.10.2023. Die Autorin Veronika Kracher hat sich trotzdem beziehungsweise gerade deshalb ins Zentrum des Geschehens begeben. Das hier ist ihr Erlebnisbericht.”
Vgl.: https://kaput-mag.com/stories-de/fusion-2024/
“Wie in Autonomen Zentren und in Hochschulen wird auch auf der Fusion der Nahost-Konflikt vor allem auf den Toiletten ausgetragen.
Es ist Donnerstagmittag, in der Kabine des Klos auf dem ich gerade sitze hat jemand „Fuck Anti-Deutsche“ hingeschmiert, daneben ein Sticker gegen „Israeli Apartheid“ oder „Stop Arming Israel – Stop the Genocide“, irgendwas mit den üblichen Buzzwords zur Legitimation von israelbezogenem Antisemitismus. Ich überklebe es mit einem „Free Gaza from Hamas“-Aufkleber und seufze. Das werden sicher noch ein paar anstrengende Tage.
Kurz nach dem Massaker des 07. Oktober, an dem die islamistische Terrorgruppe Hamas unter anderem das Nova-Festival überfallen und die feiernden Gäste vergewaltigt, ermordet und in Geiselhaft verschleppt hatte, veröffentlichte der Kulturkosmos, der das Fusion Festival organisiert eine Stellungnahme in Solidarität mit den Opfern. Der Terroranschlag der Hamas wurde heftig verurteilt und sich auch für das Existenzrecht Israels ausgesprochen – ein politischer Mindeststandard, der bei aller legitimen Kritik von beispielsweise der ultrarechten Netanjahu-Regierung oder der israelischen Kriegsführung eingehalten werden muss.
Ich selbst bin ja keine sonderlich begeisterte Festivalgängerin. Ich finde es falsch, mir für den Toilettengang Schuhe anziehen zu müssen (auch wenn auf der Fusion sicher eine Menge Barfuß-Hippies darauf verzichten), ich misse auch ungerne Annehmlichkeiten wie mein Bett, meine Badewanne und meine Küche. Ich schlafe gerne aus, ohne in einem Zelt bei lebendigem Leibe gekocht zu werden und ich freue mich nach Punkkonzerten oder Clubnächten in die angenehme Stille meiner Wohnung zurückkehren zu können. Außerdem bin ich über 30.
Aber der überraschend vernünftige, offene Brief des Kulturkosmos und vor allem ein Fusion-erprobter Freund*innenkreis weckten in mir zum ersten Mal seit zehn Jahren das Bedürfnis, doch mal wieder nach Lärz zu fahren, vor der Turmbühne im Sand zu stampfen, die psychedelischen Skulpturen auf dem Gelände zu bewundern und mir ganz fest vorzunehmen auf politische Info-Veranstaltungen zu gehen und dann doch währenddessen mit Freund*innen auf dem Hangar versacken.
Und dann kam der Nachschlag, verfasst auf den Druck von Gruppen und Einzelpersonen aus dem BDS-Umfeld und ein Schlag ins Gesicht all jener, die auf einen politischen Mindeststandard auf der diesjährigen Fusion gehofft hatten. Das Existenzrecht Israels wurde in diesem Newsletter als eine „deutsche Befindlichkeit“ abgetan – als wäre es nicht eine historisch notwendige Konsequenz, diesen jüdischen Schutzraum anzuerkennen, sondern Ursache eines deutschen Schuldgefühls. Dies ist ein immer wiederkehrender Vorwurf, um Kritik an Antisemitismus zu delegitimieren. Dieser Text war nichts anderes als eine Kapitulation vor dem seit Monaten immer lauter werdenden Geschrei von antisemitischen Gruppierungen wie BDS oder „Palestine Speaks“, denen es weit weniger um eine Solidarität mit der Zivilbevölkerung in Gaza geht als darum, ihrem Hass auf den einzig jüdischen Staat der Welt Luft zu machen. Kurz – im Kampf gegen Antisemitismus ist auf den Kulturkosmos leider kein Verlass.
Nach der Veröffentlichung des Statements wurde der Fusion-Chat meines Freund*innenkreises dominiert von der Frage, ob man es nicht vielleicht doch lassen sollte. Denn: Gruppen wie „Palestine Speaks“, die das Massaker des 07. Oktober als Akt der Befreiung zelebriert hatten, betrachten jedes wohlmeinende Einknicken als Sieg. Es handelt sich bei diesen Akteur*innen um autoritäre Bullies, die nichts anderes verlangen als die totale Unterwerfung unter ihre Forderungen und Ideologie (es ist auch bezeichnend, dass selbst das zweite Statement des Kulturkosmos in einem Antwort-Brief als nicht ausreichend deklariert worden ist).
Deshalb haben vernünftige Linke, wie üblich, die Sache selbst in die Hand genommen.
Innerhalb von kurzer Zeit formierte sich das lose Netzwerk „Fusionistas Against Antisemitism“, namentlich angelegt an den Zusammenschluss “Artists against Antisemitism“. Mitglieder der Gruppe verfassten ein Antwortschreiben an den Kulturkosmos mit einer vehementen Kritik an deren Entsolidarisierung mit jüdischen Menschen.
Innerhalb von kürzester Zeit zimmerten die „Fusionistas Against Antisemitism“ ein Programm gegen Antisemitismus auf die Beine. Die Gründe für die Notwendigkeit dessen sind zahlreich. Es ist wichtig, Fragen und Wissenslücken zu den Themen Antisemitismus und Nahost des Fusion-Publikums aufzufangen. Es ist wichtig, aufzuzeigen, dass der Wunsch nach der Vernichtung Israels doch kein linker Konsens ist. Es ist wichtig, den BDS-Bullies aufzuzeigen, dass es Widerstand gegen ihre autoritären Boykott-Aufrufe gibt (die, wie wir an Orten wie dem About Blank oder Conne Island erkennen können, letztendlich dazu führt dass linke Räume in immense finanzielle Schwierigkeiten geraten). Und vor allem ist es wichtig, die Linke und ihre Räume nicht aufzugeben. Der Standpunkt jener Möchtegern-Ideologiekritiker*innen, die Fusion sei ohnehin verloren, ist wohlfeil und selbstgefällig.
Es ist das eine, kein Interesse an dem Festival zu haben oder es als linke Bauchnabelshow zu kritisieren – das ist legitim. Aber Kritik muss dorthin getragen werden, wo Leute sie hören. Und dies von vornherein zu verweigern, ist der radikalen Linken nicht würdig. Ich kann sehr gut verstehen, dass Jüdinnen_Juden sich auf der Fusion nicht sicher fühlen und fernbleiben. Nichtjüdische Linke jedoch haben keine Ausreden, sich vor dem Kampf gegen Ignoranz und Antisemitismus zu drücken.
Die Kritik von „Fusionistas Against Antisemitism“ blieb auf dem Gelände nicht unbeantwortet – getroffene Hunde bellen. Kurz vor Beginn des Festivals verbreiteten sich besorgniserregende Bilder wie ein Lauffeuer im Internet. Rote Dreiecke – das Symbol, mit dem die Hamas ihre Ziele kennzeichnet. Hass-Aufrufe gegen „Antideutsche“ – inzwischen dient der Begriff vor allem als projektive Zuschreibung für alle Linken, die Israel nicht von der Landkarte gewischt sehen wollen. Der gesprühte Slogan „Von der Müritz an die Spree, Palestine will be free“, der vor allem Zeugnis über das historische und geopolitische Verständnis der antiisraelischen Blase ist.
Wir stellen uns darauf ein, dass es ungemütlich werden wird, packen Sticker, Spraydosen, Marker ein um in den Graffiti-Stellvertreter*innenkrieg zu ziehen. Ein Freund nimmt ein Pfefferspray mit.
Eines der ersten Dinge, das ich sehe als ich auf dem Gelände ankomme, ist ein an einem Zaun angebrachtes Transparent mit der Aufschrift „Gegen jeden Antisemitismus“, und mir wird mit einem Schlag leichter ums Herz.
Auf unserem Camp blättern wir durch das Programm und sehen die konkreten Auswirkungen unserer Interventionen. „Einführungsworkshop Antisemitismus – Geschichte, Funktionsweisen und Erscheinungsformen“. „Über Israel und Palästina sprechen“. Veranstaltungen der israelisch-palästinensichen Gruppe „Palestinians and Jews for Peace“ und „Standing Together“. Die Veranstaltung „Solidarische Bündnisse? – Antisemitismus und Rassismus gemeinsam bekämpfen“, bei der Überlebende des antisemitischen Anschlags von Halle sprechen sollten. Sie haben ihre Teilnahme nach dem zweiten Statement des Kulturkosmos abgesagt, als Jüdinnen_Juden ist die Fusion kein sicherer Raum mehr für sie. Ihre leeren Stühle stehen prominent auf der Bühne, eine der Veranstaltenden liest den offenen Brief der Gruppe vor. Am Ende der Diskussion hört sogar eine junge Frau mit Kufiya, die während eines Videos zum Anschlag in Halle vor sich hingedöst hat, aufmerksam zu.
Ich selbst moderiere eine von der Berliner Antifa-Gruppe KES organisierte Veranstaltung mit dem Titel „Linke Verwirrungen. Über Antisemitismus, Islamismus und rechte Weltbilder“, es sprechen Cordula Trunk, Amina Aziz und Alisa Limorenko.
Wir hatten uns dagegen entschieden, Publikumsfragen zuzulassen, aus Sorge um Störungen – wir alle haben unangenehme Erfahrungen gemacht bei Veranstaltungen zu Antisemitismus und Islamismus. Kurz vor Abschluss der Diskussion dann doch die Frage: „Wollen wir nicht vielleicht doch die Diskussion öffnen?“ Der Workshop-Hangar, in dem das Panel stattfindet, ist brechend voll, der Applaus donnernd. Am nächsten Tag werde ich mehrmals angesprochen und es wird sich für die Veranstaltung bedankt.
Am Freitag findet eine Solidaritätsaktion für Hersh Goldberg-Polin statt. Der junge Israeli wurde am 07. Oktober verschleppt, er ist in Geiselhaft der Hamas. Letztes Jahr hat er noch auf der Fusion getanzt, die Aktion wird von Freunden von ihm organisiert. Sie tragen T-Shirts mit seinem Namen darauf. Wir stehen auf dem Balkon und dem Hangar der Datscha, zünden Pyrotechnik und entrollen Transparente: „We will dance again“, der Slogan der Überlebenden und Angehörigen des Supernova-Festival. „Killing Jews is not fighting for Freedom“, „Solidarity with Supernova“. Ich bin nicht die einzige, die Tränen in den Augen hat.
„Es ist weit weniger schlimm als erwartet“, einigen wir uns während und nach der Fusion im Freund*innenkreis. Das liegt daran, dass wir nicht eingeknickt sind. Dass Raum geschaffen worden ist, um empathisch über die Komplexität des Themas „Nahost-Konflikt“ zu sprechen, um sich gegen Antisemitismus als auch gegen antipalästinensischen Rassismus zu positionieren, um Fragen zu beantworten, um eine Linke zu verteidigen, die Widersprüche aushalten und Kritik üben kann anstatt sich verkürzten Weltbildern, gefährlicher Halbbildung und antisemitischen Ressentiments an die Brust zu werfen. Wir sind zufrieden und stolz und freuen uns auf nächstes Jahr Fusion.
Als ich leichten Herzens mein Gepäck Richtung Bassliner schleppe, sehe ich das „We will dance again“-Transparent noch einmal. Es ist in der Zwischenzeit mit der Aufschrift „In Palestine“ und roten Dreiecken beschmiert worden, jemand anders hat dies wiederum übersprüht. Der Kampf geht weiter.
Text und Fotos: Veronika Kracher
(Dieser Artikel versteht sich als Erfahrungsbericht und eine persönliche Meinung. Er erhebt keinen Anspruch an politische Neutralität)”
Quelle: https://kaput-mag.com/stories-de/fusion-2024/
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Siehe auch in
Der Freitag (online):
“Fusion Festival 2024: Mit Pfefferspray und Flyern gegen Rote Dreiecke und Antisemitismus
Aktivismus
Unsere Autorin war das erste Mal seit zehn Jahren auf dem Fusion Festival. Mit den Fusionistas Against Antisemitism betrieb sie Aufklärung gegen Rote Dreiecke und Hamas-Verherrlichung. Aber: So verhärtet waren die Fronten gar nicht
Ausgabe 29/2024
Veronika Kracher”
Quelle, siehe: https://www.freitag.de/autoren/veronika-kracher/fusion-festival-2024-raven-gegen-antisemitismus
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Ständige Empfehlung: Fusionistas against antisemitism – https://linktr.ee/fusionistasgegenantisemitismus
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Es ist schon wahrhaftig (selbst)bezeichnend und sprichwörtlich dumm, wenn sofort alles was gegen die Hamas, gegen die Hizbollah, gegen den Iran (die IRI), gegen die Fatah, gegen Antisemitismus und den Überfall/Angriff, das Massaker, das Pogrom ist und jegliche Kritik an blinder, nationalistischer und (selbst) rassistischer, kulturalistischer, (positiv relativierter Rasissmus) vorgeblicher “Palästinasolidarität”, das Kuschen und Kuscheln mit Islamisten, religiösen Fanatikern, Fundamentalismus, mörderischer Antisemitismus etc. pp. als vermeintlich “antideutsch” und “rassistisch” oder “zionistisch” und “faschistisch” abgetan, verunglimpft, versucht wird zu beschimpfen, sich verächtlich zu machen, es klein zu halten und nieder zu machen. Den Gipfel zeigen dabei leider sogar angeblich queere Personen, Transmenschen o.ä.. ( Vgl. z.B.: https://www.belltower.news/antizionistische-grossveranstaltung-die-internationalist-queer-pride-in-berlin-156059/ ) Dabei wäre ein (Nicht-)Leben, eine Scheinexistenz unter der Führung der Hamas der reine Selbstmord. Das zeigt nur immer wieder wie verwirrt, verirrt, verblendet, fehlgeleitet, hassvoll, innerlich zerfressen, einige Leute leider sind. Kaputte Verhältnisse, kaputte Gemüter, kaputte Geister, kaputte Körper, gequälter Leib. Scheiß Zustände. Abschaffen. Überwinden. Beenden.
Eine andere Welt ist möglich und nötig.
Für die Emanzipation, für die Anarchie, für den Kommunismus.
Gegen jeden Antisemitismus, nieder mit alldem, … .
Die Befreite Gesellschaft aufbauen.